Ist Pazifismus noch möglich?

Rapsfeld-2022

Ist Pazifismus noch möglich?

Ich musste mir Zeit zum Nachdenken nehmen und eine Weile raus. Der Krieg wirft mir dringende Fragen vor die Füße. Denn Ende der 80iger Jahre war ich Pazifist mit Restfeigheit und darum Bausoldat geworden, nicht als Totalverweigerer im Gefängnis gelandet. Wäre später die Mauer nicht gefallen, hätte aber auch diese Entscheidung meine beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten erheblich eingeschränkt. Aber damals war für mich klar, dass ich für einen Staat, der seine Menschen einsperrt, keine Menschen erschießen würde. Das Evangelium war mir für diese Entscheidung eine echte Hilfe, weil es völlig unabhängig von der Systemfrage Gewalt nicht billigt. Ich war ein eifriger Neubekehrter und sehr empfänglich für solche klaren Grundsätze. Mein damaliges kirchliches Umfeld hat mich in der Alternative zum gesellschaftlichen Konsens gestärkt. Kurz darauf fiel die Mauer und mein Pazifismus wurde auf seine Belastbarkeit nicht mehr geprüft. Inzwischen bin ich Pastor und erst vor kurzem trat das Verhältnis von Glaube, Kirche und Pazifismus wieder in mein Bewusstsein. Plötzlich herrscht Krieg unmittelbar vor der Haustür und die über die Medien mich erreichende gewaltbereite Stimmung zog mich langsam mit sich. Erst als Frau Kurschuss (EKD) von "Keine Waffenlieferungen" zum "Recht auf Selbstverteidigung" umschwenkte, fühlte ich mich zur Überprüfung meines Pazifismus genötigt. Vom Ergebnis will ich hier Zeugnis ablegen.

Frau Kurschuss dient wie ich einer Institution, die den Menschen jahrhundertelang mit Moral und Hölle auf die Nerven ging. Nun ist sie an ihren hohen Ansprüchen selbst gescheitert und sucht im Sinkflug intensiver denn je unter den Menschen einen Landeplatz. Wir reden über Flüchtlingshilfe, ökofaire Gemeinden und dass wir jetzt aber nun endlich und wirklich anfangen darauf zu hören, was die Menschen von der Kirche erwarten. Wir reden eher wenig über das, was m. E. die Existenz der Kirche auf dieser Welt rechtfertigt: von der Liebe Gottes zu denen, die sich von IHM abwenden, von der Vorläufigkeit alles Bösen dieser Welt und den offenen Pforten des Paradieses. Meine Kirche fällt in der Öffentlichkeit nicht mit Versuchen auf, Menschen zur Gottesgemeinschaft (zurück) zu locken, zu verführen, zu lieben, zu begleiten und darin Dienerin der Menschen zu sein. Lieber ist sie, nachdem sie nicht mehr Herrin sein kann, ihre Spielkameradin und Kumpeline. Aus meinen jugendlichen Erfahrungen heraus erwarte ich aber von ihr, dass Kirche die Alternative zum Sandkasten vorträgt und nur soweit im Sandkasten mitspielt, wie es ihrem Vortrag und Auftrag dienlich ist. Denn ich glaube, dass die Hilfe für Flüchtlinge und die Arbeit für den Frieden und die Bewahrung der Schöpfung nur dann wirklich erfolgreich ist, wenn sie in der Gottesgemeinschaft getan werden, weil der "Erfolg" nicht in den Händen des 'Menschen ohne Gott' liegt. Dort aber liegen nach meinem Verständnis des Evangeliums die Ursachen für die Not der Menschen und das Elend der Schöpfung. Die Welt geht vor die Hunde, auch indem der 'Mensch ohne Gott' sie retten will. Meine Kirche spielt die Rolle der Sozialdiakonin, verteilt Suppe und Decken und fördert Dienstfahrräder, befürwortet inzwischen Waffenlieferungen zur Selbstverteidigung - ist aber recht leise dabei, die Gründe zu benennen, die solche Maßnahmen nötig machen. Über die Gottesgemeinschaft als Alternativ - kein Wort.

Ist es Christenpflicht, einem, der Gewalt leidet, die Mittel zur Gegengewalt zur Verfügung zu stellen? Im Narrativ "des Westens" sind wir die Guten, Russland ist das Böse. Mich erinnert das sehr an den Sündenfall, wo das Begehren, zwischen Gut und Böse unterscheiden zu können, der Beginn aller Irrtümer ist. Ich denke inzwischen, die Ursache des Krieges ist nicht Putin, sondern die Unfähigkeit des Gott misstrauenden Menschen zu Glück und Frieden in und mit sich selbst und mit den Anderen. Daraus erwächst der Drang, dafür Ersatz im Äußeren zu suchen: Bequemlichkeit, Leidensfreiheit, Triebbefriedigung ohne Beziehung, Freiheit frei von Verantwortung, Macht, Sicherheit, vor allem Wohlstand, für den im Zweifelsfall auch Gewalt und Krieg eingesetzt werden, um den eigenen Anteil an Ressourcen dazu gegen die "Mitbewerber" zu sichern - der ganze Sandkastenwahnsinn dieser Welt eben. Putin macht im Großen nur, was jeder im Kleinen auch tut. Unsere Empörung ist wohlfeil. Für Waffenlieferungen einzutreten ist das Mitspielen im Sandkasten. "Aber es sterben doch unschuldige Menschen!" Da möchte ich antworten: Zunächst einmal sollten wir als die im Augenblick nicht Betroffenen auf die Knie gehen, unsere Schuld bekennen und Umkehr geloben: wir müssen raus aus dem Sandkasten. Unsere Spiele haben es dazu gebracht, dass "Unschuldige" sterben. Dann wäre zu sagen: Um die Gestorbenen, Toten, Erschossenen, muss ich mir wenig Sorgen machen, denn wenn ich meinen Glauben ernst nehme, geht es denen jetzt besser als allen anderen einschließlich meiner selbst. Meine Aufmerksamkeit muss allerdings den Hinterbliebenen gelten, die ihre Lieben verloren haben, auch Kinder. Da braucht es eine heiße Suppe und eine saubere Decke, und ich muss Worte für den Schmerz finden und Gefäße für die Trauer anbieten, das zuerst! Aber dann auch Worte für das Leben, dass nicht zerstört wurde, sondern hinter offenen Paradiespforten gelebt wird. Im besten Fall gewinne ich ihn oder sie später dazu, mit mir und anderen einen Weg aus dem Sandkasten zu suchen und in die Gottesgemeinschaft zurück zu kehren. Aber was soll es nützen, wenn ich der trauernden Mutter ein Gewehr zur Verfügung stelle, damit sie oder sonstwer losgeht und den Mörder ihres Kindes erschießt? Unter Umständen ist der auch nur der geliebte Sohn einer Mutter, deren Schmerz nicht minder groß wäre.
Und als Drittes wäre vom Gehorsam gegen Jesu Wort zu reden, dass nämlich schon das böse Wort in den Bereich des Todes führt. Es gibt für Gewalt keine Rechtfertigung aus der Schrift, im Gegenteil. Im Zweifel gilt es, das eigene Leben dran zu geben. Die Frage, ob das was nützt, ist müßig, denn es ist Gebot Gottes: Du sollst nicht töten, ja nicht einmal beleidigen oder auch nur schimpfen. Von einem Recht auf Selbstverteidigung steht nichts geschrieben. Worte, Gesten, Zeichen, Einladungen, Verhandlungen, Listen für den Frieden - alles möglich, aber keine Gewaltanwendung. Gott allein weiß, warum Er da so hart und klar ist und mir ggf. was zumutet. Denn was ich der Mutter als Trost anbiete, muss ich natürlich auch für mich selbst riskieren können. Glaube ich für sie, für ihr Kind, für ihren Mann und alle ihre toten Lieben, dass sie leben, muss ich im Fall des Falles auch selbst bereit sein, der Gewalt, wenn ich ihr nicht ausweichen kann, nicht zu widerstreben und statt dessen lieber zu sterben. Im günstigsten Fall sterben dadurch vielleich weniger andere. Eine Bewährung meines Glaubens steht an dieser Stelle aus, das weiß ich wohl. Meine Antwort kann zunächst nur darin bestehen, dass ich dem Wort vertraue, mit Furcht und Zittern. (Philipper 2, 12)
So könnte Kirche auch öffentlich sprechen, wenn sie sich selbst und ihren Auftrag, die Botschaft der Auferstehung der Toten zu den Menschen zu bringen, ernst nimmt. Das ist m. E. auch der einzige echte und eigene kirchliche Beitrag zur Debatte. Alles andere können andere sagen, das müssen wir nicht wiederholen und können es getrost für einen Streit im Sandkasten halten. Und wenn Kirche meint, ihre Alternative öffentlich nicht vortragen zu können, weil sie fürchtet, damit bei den Menschen nicht landen zu können, dann sollte sie bis zu einem günstigeren Zeitpunkt schweigen, großzügig Suppe und Decken verteilen und wenigstens an Ort und Stelle gelegentlich flüstern: Christus ist auferstanden, Halleluja.
Kurzum: Pazifismus ist möglich dem, der glaubt.

 

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Freitag, 29. März 2024

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